Spohr

Jessonda am Staatstheater Kassel, Oktober 2009:
Nach der konzertanten Aufführung von Spohrs Oper Jessonda im Staatstheater Kassel fragt man sich, warum das Stück – eine Kritik der indischen Witwenverbrennungspraxis – nicht gleichberechtigt neben den Werken Donizettis und Bellinis in den Spielplänen zu finden ist. An der Musik, den dichten Ensembles und den großen Belcanto-Arien, jedenfalls kann es nicht liegen. Unter der Leitung von Patrik Ringborg hat das Staatsorchester Kassel alles aufgeboten, um die Hörer für Spohr einzunehmen: Diskretion, innigsten Schmelz (besonders bei Hörnern, Klarinetten und Celli) und sauberste Tongebung.
Fundstück aus der Schatzkammer
Am Kasseler Staatstheater wurde Louis Spohrs Oper Jessonda in konzertanter Form wiederbelebt Verschwindet eine beliebte Oper im Lauf der Jahrzehnte von den Spielplänen, dann liegt der Verdacht nahe, sie sei zu Recht vergessen worden. Dahinter steht die Vorstellung von der Musikgeschichte als einem großen Sieb, in dem auf Dauer die künstlerisch dicken Brocken schon irgendwie hängen bleiben - der Rest wird ausgesiebt und weggespült. Vor diesem Hintergrund war es kein ganz risikofreies Unterfangen, Louis Spohrs (1784-1859) einstige Erfolgsoper Jessonda im Jubiläumsjahr des Komponisten wieder aufzuführen. Zwar hat das Staatstheater Kassel allen Grund, eine Oper, die so eng mit der Geschichte der Stadt verknüpft ist, zu zeigen. Aber würde daraus mehr werden als eine stadthistorische Reminiszenz?
Es wurde viel mehr. Die Zuhörer im fast ausverkauften Opernhaus erlebten unter der Leitung von Generalmusikdirektor Patrik Ringborg eine berührende Aufführung, eine Begegnung mit Spohrs Musik der intensiven Art, die ihre Resonanz im lang anhaltenden Schlussbeifall fand. Tatsächlich zeichnet Spohr in Jessonda seine Figuren mit feinen Charakterporträts, wie in der konzertanten Aufführung schön zu verfolgen war. Schon das anfängliche Duett zwischen dem Priester Dandau und dem jungen Braminen Nadori erweist sich als faszinierendes Spiel zweier Charaktere - des rigiden Traditionalisten und des in seinem Selbstbewusstsein erwachenden jungen Mannes. Spohr ist weniger ein Komponist des Eindeutigen als ein Meister der gemischten Gefühle, der farblichen Schattierungen, der harmonischen Stimmungswechsel. Weder Tristan noch Jessonda und die anderen werden zu Helden vergröbert - besonders anrührend die feine musikalische Psychologie der sich ergebenden, gleichzeitig aber liebenden und lebenswilligen Jessonda, die in ihrer leidenschaftlichen Schlussarie kulminiert. Als Glück erwies sich, dass für diese erste Kasseler Jessonda seit 50 Jahren eine exzellente Sängerbesetzung aufgeboten wurde. ... Bemerkenswert die Klangkultur und Strahlkraft des Opernchors und der Kantorei Kassel

Meister der Differenzierung
Patrik Ringborg erwies sich einmal mehr als Meister der Differenzierung und des belebten Musizierens, aufbauend auf einem transparenten, farbintensiven Orchesterklang. Ist Jessonda also eine Oper ohne Einschränkungen? Natürlich nicht. Es ließe sich Einiges sagen über uns heute fremd gewordene heldische Anklänge, die musikalisch flach wirken, auch zur überladenen Sprache des Librettos von Eduard Gehe - ein Zeitübel, das viele Opern und Oratorien aus dem frühen 19. Jahrhundert belastet. Doch darüber steht Spohrs von hohem Ethos getragene eindringliche Musiksprache. Fazit: Die Musikgeschichte ist eben auch eine Schatzkammer, in der zu kramen sich lohnt.

Farbenvielfalt im Melodiestrom
Der ungekrönte König des diesjährigen Kasseler Musiklebens ist Louis Spohr, dessen 225. Todestag und 150. Geburtstag in das Jahr fallen. Auch das Staatstheater hat natürlich seinen Anteil an dem breiten Programm... So konnte das festlich gestimmte Publikum einen entspannenden Abend genießen. GMD Patrik Ringborg bekannte sich zur Nachfolge Spohrs (und dies nicht nur in der Körpergröße). Das Orchester hatte er gut angeleitet... Die vertrackte Harmonik und viele Einsätze, die keine Schlamperei duldeten, forderten notwendig die sichere Hand des Leiters. Das Ergebnis war ein schön fließender Strom an Melodien, der in der Vielfalt orchestraler Farben von den Musikerinnen und Musikern gut herausmodelliert wurden. ... Mit dieser konzertanten Opernaufführung erwiesen Theater und Staatsorchester ihrem Ahnherrn einen guten Dienst.
... Patrik Ringborg ist ja direkter Nachfolger Louis Spohrs im Amt des Kasseler Generalmusikdirektors... außerdem schafft diese konzertante Aufführung gute Voraussetzungen für eine sehr genaue Interpretation: Alle können gut sehen, die Sänger können sich auf die Musik konzentrieren und Ringborg hat wirklich ein guten Blick für diese Spohrsche Musik, die ja ordentlich romantisch klingt, aber doch sehr klassisch gedacht ist. Er weiß genau wo er führen muss, wo er loslassen kann. Die Holzbäser, fand ich, waren sehr gut in Form, ... der große, vergrößerte Streicherapparat hat einen sehr schönen, kultiviert romantischen Ton - das war musikalisch sehr schön und gelungen.
... Dass Spohr sich bei der Komposition der Jessonda unter anderem an der Grand Opera Meyerbeers orientiert hat, spürt man nicht nur bei den anspruchsvollen Partien der Solisten, sondern auch in den üppigen Chorpassagen, die die Chöre des Staatstheaters Kassel und der Kantorei St. Martin mit Bravour bewältigten. Nicht zuletzt verdienen auch das Staatsorchester Kassel und Patrik Ringborg ein großes Lob: mit straffen Tempi, zupackender Dramatik, zugleich aber auch großer Zartheit ohne Sentimentalität in den lyrischen Passagen machte er die Jessonda zu einem absoluten Hörgenuss.
In Kassel ist diese faszinierende Oper leider nur konzertant zu erleben, fokussiert aufs Musikalische des Ingenium Spohrs, und demonstriert den Erfindungsreichtum Spohrs mit seinen subversiven Verweisen. Patrik Ringborg hat das Staatsorchester Kassel auf die Doppelbödigkeit der Spohr-Musik intensiv eingestellt: Da wird die frühromantische Attitüde zum orchestralen Zauberwerk, subtile Streicher-Passagen wechseln mit Bläser-Eruptionen, lyrische Melodien werden von provozierenden Märschen abgelöst, intensiv begleiteter Solo-Gesang korrespondiert mit brausenden Chören - leitet immer wieder über in geradezu schwelgende Orchester-Tutti mit teuflisch schweren Einsätzen und differenzierenden Vorstellungen der Instrumentengruppen. Dies Feuerwerk inspirierter Musik findet im engagierten Einsatz von Dirigent und Musikern seine Erfüllung - die irritierenden Unsauberkeiten werden in diesem musikalischen Triumph zu vernachlässigenden Marginalien!
... Das Kasseler Publikum folgt dem Geschehen sehr konzentriert, ist auf die konzertante Präsentation vorbereitet, erwartet offensichtlich auch keine Übertitel, feiert die brillante musikalische Performance - und fühlt sich offenbar mit der dokumentierten kulturellen Bedeutung Kassels in ihrem Selbstverständnis bestärkt. Hoffentlich hat das nachhaltige Wirkung!
Spohrs Jessonda konzertant ... das Staatsorchester unter der temperamentvollen Führung von Patrik Ringborg leistet Beachtliches.
... später wurde die (leider nur) konzertante Aufführung von Louis Spohrs Jessonda zum Höhepunkt des Gedenkjahrs an den Komponisten, der sein halbes Leben in Kassel verbrachte.
... Die Erfahrung der konzertanten Aufführung von Jessonda ... geleitet vom Dirigenten Patrik Ringborg. Er ist imstande, eine ganze Menge Energie in die Musik reinzubringen und wird in diesem gut gefolgt vom Orchester der Oper Kassel und vom hervorragend vorbereiteten Chor des Staatstheaters, zu dieser Gelegenheit ergänzt von Mitgliedern der Kantorei der St. Martinskirche.


Patrik Ringborg@facebook 
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